LSVB-Fachtagung „Rentenpaket II“
Statement
Franz Wölfl
LSVB-Fachtagung „Rentenpaket II“
am 13. 6. 2024
Bevor ich einige Anmerkungen zum Thema unserer heutigen Fachtagung mache, darf ich Ihnen unsere beiden Referenten vorstellen:
Herr Johann Häusler ist Agrarökonom. Er war von 2014 bis 2023 Mitglied des Bayerischen Landtags und in dieser Funktion mehrere Jahre stellvertretender Vorsitzender der Fraktion der Freien Wähler. Ich habe ihn als einen sehr engagierten Befürworter einer unabhängigen und effektiven Seniorenvertretung auf Landesebene kennen und schätzen gelernt.
Herr Manfred Link ist promovierter Dipl. Kaufmann. Er ist seit Jahren Sprecher des LSVB-Bezirks Schwaben. Einer der Schwerpunkte seiner seniorenpolitischen Arbeit ist die Rente. Als Vorsitzender der Rentnerinnen- und Rentner-Partei hat er für den Bayerischen Landtag kandidiert. Leider hat es für ihn und seine Partei nicht zum Einzug in den Bayerischen Landtag gereicht.
Meine Damen und Herren,
Im August 1948 schrieb der damals 71jährige Hermann Hesse [an Hans Huber] einen Brief, in dem es u. a. heißt:
„Man wird im Alter so bescheiden; wenn man ordentlich geschlafen und keine heftigen Schmerzen hat, ist man schon beinahe zufrieden.“
Das ist natürlich nicht die Philosophie von uns Älteren des 21. Jahrhunderts. Wir sind nicht nur gesünder und leben länger als unsere Großväter und Urgroßväter, sondern wir sind auch selbstbewusster und anspruchsvoller. Wir wollen mitreden und mitgestalten. Das Alter verpflichtet nicht zum Leisetreten.
Wir haben ganz konkrete Vorstellungen, wie die Rahmenbedingungen aussehen müssen, um gut durch den Herbst und den Winter unseres Lebens kommen zu können:
bezahlbare Mieten,
gute gesundheitliche Versorgung,
ausreichend Möglichkeiten, am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können,
gesichertes finanzielles Auskommen (im Alter),
um nur einige Eckpunkte zu nennen.
Im Focus unseres heutigen Symposiums stehen die Menschen, für die die gesetzliche Rentenversicherung die zentrale Einkommensquelle ist, um im Alter ihr Leben finanzieren zu können.
Diese Menschen müssen darauf vertrauen können, dass sie nach einem langen Arbeitsleben – auch bei unterdurchschnittlichen Einkommen – ordentlich abgesichert sind und besser dastehen als jemand, der wenig oder gar nicht gearbeitet und somit wenige oder keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt hat.
Gleichzeitig ist es notwendig, diejenigen, die Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung entrichten, finanziell nicht zu überfordern.
Der vor kurzem vom Bundeskabinett verabschiedete Entwurf eines Gesetzes zur Stabilisierung des Rentenniveaus und zum Aufbau eines Generationenkapitals für die gesetzliche Rentenversicherung ist ein Gesetzentwurf, der die Probleme der gRV nicht löst, sondern die Lösung in die Zukunft verschiebt. Der immerwährende Reichstag zu Regensburg lässt grüßen.
Herr Häusler hat seinen Vortrag überschrieben mit „Unsere Rentenpolitik am Scheideweg, Altersarmut oder Partizipation“. Das Stichwort Altersarmut ist Anlass für mich, das Thema Rente zumindest ganz kurz zu streifen. Ich bin nämlich der Meinung, dass eine erfolgreiche und interessengerechte Rentenpolitik eine partielle Novellierung unseres Arbeitsmarktes voraussetzt. Solange es – aus welchen Gründen auch immer – nicht gelingt, den Niedriglohnbereich zurückzudrängen, erscheint es mir notwendig, bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen bestimmte Beitragszeiten während des Versicherungslebens aufzuwerten. Voraussetzungen wären
einmal mindestens 35 Jahre mit rentenrechtlichen Zeiten,
zum anderen eine Rente unter dem Rentenbetrag, der sich ergäbe, wenn 75 % des allgemeinen Durchschnittsverdienstes erzielt worden wären.
Liegen diese Voraussetzungen vor, dann könnte der erzielte monatliche Verdienst um 20 % auf maximal 75 % des allgemeinen Durchschnittsverdienstes erhöht und auf dieser Basis die Rente berechnet werden. Renten unterhalb des Grundsicherungsniveaus würden dadurch verhindert.
Darüber hinaus wäre dieser Vorschlag rentenrechtlich systemimmanent und damit gerecht.
Meine Damen und Herren,
wenn Sie Nachrichten hören, gleichgültig ob im Radio oder Fernsehen: seniorenpolitische Themen werden kaum behandelt. Auch im gerade zu Ende gegangenen Europa-Wahlkampf spielten seniorenpolitische Themen keine Rolle. Wenn die Medien und die Politik über alte Menschen berichten, dann meistens in Zusammenhang mit Pflegebedürftigkeit. Das ist grenzwertig. Alt mit pflegebedürftig gleichzusetzen, ist diskriminierend. Nämlich nur etwa 10 % der alten Menschen sind pflegebedürftig.
Meine Damen und Herren, warum tun sich Gesellschaft und Politik so schwer im Umgang mit alten Menschen? Die Antwort ist ganz einfach: Im Alter verlieren die meisten von uns ein ganz maßgebliches gesellschaftliches Statussymbol, nämlich ihre Arbeit. Sie ist die wichtigste Quelle sozialer Identität. Unsere Gesellschaft ist erbarmungslos: Sie verbannt Menschen ohne Arbeit, besonders wenn sie alt sind, in die zweite Reihe. Sie kommuniziert mit den alten Menschen nicht mehr auf Augenhöhe. Oder anders formuliert: Die alten Menschen haben keine Lobby.
Die Wurzel dieses Übels besteht darin, dass mit der industriellen Arbeitswelt, und hier vor allem wegen der Renten- und Pensionssysteme des 20. Jahrhunderts, kalendarische Altersgrenzen ein praktisches, mittlerweile die ganze Lebenswelt beherrschendes Gewicht erlangt haben. Nur in gewissen Bereichen darf man über das Rentenalter hinaus tätig sein: in der Politik, als selbständiger Unternehmer, als Dirigent, als Intellektueller und als Autor. Meine Damen und Herren, sind wir doch ehrlich: Diese Altersgrenzen und vor allem die damit verbundenen Auswirkungen auf unser Leben sind doch aus der Zeit gefallen. Körper, Geist und Seele gehen nicht in Rente, schon gar nicht von einem Tag auf den anderen. Außerdem nehmen die individuellen Unterschiede hinsichtlich Gesundheit und Leistungsfähigkeit mit dem Alter zu: Die Abweichung der Gleichaltrigen von einem Mittelwert fällt im Alter weit größer aus als in früheren Phasen.
Welche Schlussfolgerungen sind daraus zu ziehen? Meine Damen und Herren, die Gesellschaft muss die Zeit nach der Arbeit als Lebensabschnitt ernst nehmen. Die alten Menschen wollen mehr sein als „außer Dienst“ bzw. „im Ruhestand“. Ich stimme Olaf Scholz zu, wenn er sagt, der Katalog der Gerechtigkeit – Verteilungsgerechtigkeit, Chancengerechtigkeit, Leistungsgerechtigkeit – ist um eine vierte Dimension, nämlich Beitragsgerechtigkeit, zu erweitern. Das hat nichts mit Sozialversicherungsbeiträgen zu tun. Gemeint ist vielmehr, dass jeder für seinen Beitrag zum Gemeinwohl anerkannt werden soll. Es geht um eine Gesellschaft, in der Menschen letztlich aufgrund ihres Menschseins akzeptiert werden, also um Teilhabe und Beteiligung.
Meine Damen und Herren, damit genug der Vorrede.
Ich wünsche der heutigen Veranstaltung einen guten Verlauf und Ihnen alle gute Gespräche und möglichst viele neue Erkenntnisse.
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